Dave Gahan - Exclusiv
Vertigo, 11/1996
by Darrel Hughes
Der nachfolgende Bericht unseres England-Korrespondenten Darrel Hughes befaßt sich mit der augenblicklichen Situation und Gesundheitszustand von DEPECHE MODE-Frontmann Dave Gahan, der nach seinem lebensbedrohlichen Drogenkollaps Ende Juli in eine Klinik von Los Angeles eingeliefert wurde, wo er sich einer gesundheitlichen Rehabilitation unterzog. Die Story beinhaltet einen umfassenden Rückblick auf die Monate zwischen seinem Selbstmordversuch im vergangenen Jahr und der neuerlichen Exzesse und erläutert die Umstände, wie es dazu kommen konnte seitdem Dave in L.A. lebt. Dave Gahan, der mit eigenen Worten die Lage der letzten Monate umreißt, befindet sich wieder auf dem Wege der Besserung und weilt zu abschließenden Studioaufnahmen für die neue CD in London. Falls alles nach Plan laufen sollte, ist mit einer neuen DEPECHE MODE-Maxi laut MUTE Rec. bereits im Dezember zu rechnen. Das Album wird dann Mitte/Ende Januar folgen…
Das Haus in den Bergen Hollywoods gelegen, das Dave gekauft hat, ist groß, grau und im gotischen Stil gebaut. Es besitzt einen Swimming Pool und ein palastartiges Hauptschlafzimmer. An einigen wenigen klaren Tagen in Los Angeles hat man sogar Aussicht auf das Meer. All das ist weg von der kleinen im sozialen Wohnungsbau entstandenen Doppelhaushälfte in Basildon, Essex, wo Dave Gahan mit seiner Mutter, die bei der Heilsarmee war, aufgewachsen ist. Wie sich herausstellte, zu weit weg für Dave.
Diese, am „La Cuesta Drive“ gelegene Haus besitzt Dave nicht mehr. Er mußte es kurz vor Weihnachten 1995 für 1 Million $ verkaufen, als seine Rock-Millionärs-Welt zusammenbrach.
Gahan, 34, charismatischer Frontmann von DEPECHE MODE, die als erfolgreichste britische Rockband Amerika´s in diesem Jahrzehnt anzusehen ist, hält sich zum Drogenentzug in einer versteckten Rehabilitationsklinik in Kalifornien auf. Er ist glücklich, noch unter den Lebenden zu weilen.
Am 28. Mai 1996 wurde Dave bewußtlos auf dem Boden seines Zimmers im „Sunset Marquis Hotel“ gefunden, nur noch ein kalter feuchter Schatten seiner selbst, dem Star, den die Fans auf der Bühne anhimmeln.
Gahan, der ohnehin schon von der Polizei als Drogenabhängiger verdächtigt wurde, hatte sich einen Speedball, einen Mix aus Heroin und Kokain, gespritzt, der normalerweise ein Pferd umhauen würde.
Am 30.07.96 wurde er vor dem Städtischen Gericht von Beverly Hills angeklagt, im Besitz von Kokain zu sein und unter Einfluß von Drogen zu stehen. Falls er für schuldig befunden wird, könnte er aus Amerika ausgewiesen und ihm die erneute Einreiseerlaubnis verweigert werden. Und die meisten Beobachter in der Musikbranche glauben, daß dies das Ende von DEPECHE MODE bedeuten würde, eine der ganz wenigen, übriggebliebenen Bands der New Romantic-Ära (Soft Cell, Visage, Ultravox, OMD, etc.)
Gahan´s Anwälte versuchen einen Deal mit den Staatsanwälten auszuhandeln, in dem er in geringem Ausmaß für schuldig befunden wird, so daß er in den USA bleiben kann, dies sagte uns ein Beamter der örtlichen Oberstaatsanwaltschaft.
Gahan´s Welt begann zusammenzubrechen, als er 1990 nach L.A. zog und dort versuchte das „Sex, Drugs & Rock´n Roll“ – Image der harten US-Rockstars auszuleben.
Schließlich, nach zwei gescheiterten Ehen, einem Selbstmordversuch und nachdem sich die anderen Bandmitglieder von ihm abgewendet hatten, hoffen seine Freunde, daß die jüngsten Eskapaden sein Leben retten werden. Er wurde dazu gezwungen, Hilfe zu akzeptieren.
Als Teenager in Basildon experimentierte Gahan das erstmal mit Drogen. Dave: „Unsere Clique ging los und kaufte eine große Tüte voll Amphetamine, wir gingen zu einer Party in London und nahmen den ersten Zug am nächsten Tag nach hause.“
1988 zogen DEPECHE MODE 80.000 Fans ins total ausverkaufte und völlig überfüllte „Pasadena Rose Bowl-Stadium“. Die einzigen Bands, die dies bis dato erreichten, waren PINK FLOYD und die ROLLING STONES. DEPECHE MODE´s 90er „Violator“-Tour war ein Triumph. Doch danach änderte sich Dave, so seine Freunde. Er entledigte sich seiner ersten Frau Joanne, einer Krankenschwester aus Billericay. Sie trafen sich, als Dave gerade 17 war. Ihr gemeinsamer Sohn (mittlerweile 8 Jahre alt) blieb bei der Mutter. Gahan zog danach zu Teresa Conroy nach Kalifornien, ihres Zeichens US-Presse-Agentin von DEPECHE MODE. Die beiden heirateten später.
„Dave wollte unbedingt ein Hardrocker sein und das „Plastic-Pop-Image“ ablegen“, sagt Richard Blade, Top-DJ des führenden L.A. – Radiosenders KROQ. Blade, 44, der in Torquay geboren wurde, zog vor 20 Jahren nach Los Angeles und war ein Freund Gahan´s seit er DEPECHE MODE 1983 zum ersten Mal getroffen hat. Er führt seit einigen Jahren eine Kampagne gegen Drogen in der Musikszene.
„DEPECHE waren schon immer eine Partyband“, sagt Blade. „Sie liebten es, irgentwo herumzuhängen und was zu trinken. Aber das Hardrock-Leben bringt leider eine ganze Menge Dinge mit sich und Drogen gehören dazu. Wenn jeder Drogen nimmt, ist es schwierig für dich, es nicht zu tun.“
Gahan wurde zunehmend „zerlotterter“, tauschte Rüschenhemden gegen Leder, Tattoos vom Sunset Strip Boulevard (dort, wo die Prostituierten sich tummeln) bedecken große Teile seines Körpers. Als Dave zurück nach England kam, hatten sich die anderen Bandmitglieder Andrew Fletcher, Alan Wilder und Martin Gore kaum geändert. Sie waren entsetzt, als Gahan im neuen Outfit nach Madrid kam um das letzte Album „Songs Of Faith And Devotion“ aufzunehmen. Für DEPECHE-Verhältnisse ist dieses Album gefloppt. Es hat sich lediglich zweimillionenmal verkauft, mehr als die Hälfte weniger als „Violator“.
Vor 20 Monaten verließ Alan Wilder DEPECHE MODE. Er sagte, er könne nicht länger mit gewissen Bandmitgliedern zusammenarbeiten.
Zu seinem Selbstmordversuch vor einem Jahr sagte Gahan: „Ich trank eine Flasche Wein und schluckte eine Handvoll Valium. Diese Kombination ist wirklich verrückt. Ich bahnte mir den Weg ins Badezimmer, sah eine Rasierklinge und schnitt mir die Pulsadern auf. Das war einfach nur so ein Blitzgedanke von mir. Ich schnitt so tief, daß ich meine Finger nicht mehr fühlte.“
Seine zweite Frau Teresa verließ ihn, laut eines Mitgliedes von DEPECHE´s Gefolgschaft, weil sie sich nicht in der Lage sah, Dave daran zu hindern im Drogendschungel unterzugehen.
Gahan endete allein im „Sunset Marquis Hotel“, welches für seine Diskretion und der Fähigkeit mit Musikern und deren Problemen umzugehen, berühmt ist.
Dazu Richard Blade: „Die Band ist an einem bedeutenden Punkt angelangt, entweder sie kommen zusammen und liefern ein hervorragendes Album ab oder wir können uns von DEPECHE MODE verabschieden. Es ist Dave´s nächstbeste letzte Chance.“
Aus dem Reha-Zentrum in L.A., wo Dave Gahan zum Entzug ist, sagte er; „Alles was ich tun kann, ist zu hoffen, daß das was ich jetzt tue, mehr Bedeutung vermittelt, als die Scheiße, die in den letzten Jahren aus meinem Mund kam. Ich will nicht herumlaufen in der Erwartung, jemanden retten zu können. Ich stehe selbst noch mit einem Bein über dem Abgrund.
Ich habe keine Wohnung, wo ich hingehen kann, ich habe mein Haus verloren, ich habe sogar das Besuchsrecht für meinen Sohn verloren. Aber das alles wird zurückkommen, wenn ich es schaffe, clean zu bleiben. Jeden Tag wird es besser.
Ich war einige Wochen clean, als ich aus New York, wo ich mit der Band gearbeitet habe, nach Los Angeles zurückkam. Ich ging aus und schoß mir den Speedball. Der Dealer verpisste sich und ich lief grün an. Glücklicherweise war da jemand, der den Notarzt verständigte. Als ich das Krankenhaus verließ, sagte ich zu jemandem, daß ich mir eine Überdosis gespritzt hätte, und er sagte: David, du bist gestorben! Sie reanimierten dich dreimal. Ich hätten einen bleibenden Gehirnschaden davontragen können. Wenn ich über die Verrücktheit dieser 3 kraftlosen Minuten Euphorie nachdenke…
Man muß nicht lebenslänglich abhängig sein, es genügt ein Schuß. Die Leute scheinen an den Mythos zu glauben, daß einmal harmlos ist. Jetzt scheinen die Leute direkt zum Heroin zu kommen und dabei Hasch, Marhiuana, Amphetamine etc. zu übergehen, und direkt zum Teufel zu gehen. Es ist wirklich erschreckend.
Ich habe dieselbe Geschicht auch in London erlebt, viele Teenager rauchten auf den Toiletten mit Heroin gefüllte Joints und drehten danach ab. Sie dachten, nur weil sie kein reines Heroin nahmen, würden sie nicht davon abhängig werden. Das letzte, was ich will ist, mich als Moralapostel aufzuspielen, aber ich möchte einfach auf die schrecklichen Gefahren des Heroinkonsums aufmerksam machen. Ich will kein Prediger sein. Ich bin in einer Rock´n Roll-Band, das ist es, was ich will und ich will einfach nur David sein. Ich bin froh, daß ich dieses kleine Kind, das in mir verloren gegangen war, wiedergefunden habe. Seitdem ich clean bin, fühle ich mich, als gehe ich auf Wolken.“
„Dave, ich wünsche dir gute Besserung und das die Wunden deines bisherigen chaotischen Lebenswandels ohne Komplikationen verheilen. Ich hoffe, du wirst wie Phoenix aus der Asche auferstehen und DEPECHE MODE in eine neue Ära führen, in der dich nichts mehr aus dem Gleichgewicht bringen kann.“